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Ex-Verfassungsschutzchef warnt vor aktuellen Gefahren für unsere Demokratie


„Wir leben in einem der sichersten Länder der Erde und in einer gefestigten Demokratie. Allerdings wird unsere Demokratie ständig von innen und von außen angegriffen – und weil sie nicht unverwundbar ist, müssen wir sie jeden Tag aufs Neue verteidigen. Die Warnsignale sind da und müssen ernst genommen werden.“ Mit diesem Appell rief Burkhard Freier, ehemaliger Leiter des Verfassungsschutzes.“ NRW, am Freitag (22.3.2024) auf einer SPD-Veranstaltung in Kleinenbroich die Bürgerinnen und Bürger zur Wachsamkeit auf. Mehr anzeigen

 


„Neben den Gefahren für die Demokratie, die von Rechtsextremisten, Linkextremisten und Islamisten sowie der Spionage ausgehen, sind heute eine Reihe weiterer Gefahren hinzugekommen: Der Druck auf unsere Demokratie nimmt zu – durch Krisen und einem gefährlichen Mix aus Extremismus, Nationalismus und zunehmender Aggression autoritärer Staaten. Hinzu kommen Hass, Hetze und Verrohung, auch der Sprache, sowie eine zunehmende Demokratiefeindlichkeit – und damit immer mehr Spaltung, obwohl wir mehr Zusammenhalt brauchen.

 

 

Welche einzelnen Krisen haben Auswirkungen auf unsere Demokratie und die Innere Sicherheit? Es gibt Angriffe von innen und von außen:

Das Tempo der derzeitigen Veränderungen und die sich überschneidenden Krisen fordern Politik und Gesellschaft und verunsichern die Menschen – es gibt zum Beispiel Ängste vor dem Verlust der Kontrolle und des Wohlstandes. Dabei hat unsere Demokratie die Krisen der letzten 60 Jahre – von der Kuba-Krise 1962 über die Finanzkrise 2008 bis zu den Terroranschlägen - überstanden. Dazwischen gab es immer Erholungspausen für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. In den letzten drei Jahren kamen weitere Krisen hinzu wie die Corona-Pandemie, Klimakatastrophen sowie Kriege und Konflikte. Inzwischen laufen die Krisen nicht mehr hintereinander, sondern ohne Erholungsphasen nebeneinander und beeinträchtigen unsere Demokratie in stärkerem Maße.

 

Angriffe auf die Demokratie von innen: Kriminalität und Extremismus

Nach der polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2022 ist in Nordrhein-Westfalen die Zahl der Straftatengegenüber 2021 um 13,7 Prozent angestiegen. Insbesondere Diebstahl, Wohnungseinbruch, Straßenkriminalität und Gewaltdelikte haben zugenommen – Straftaten, die auch das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen beeinflussen. Dabei ist auch die Zahl der nicht-deutschen Tatverdächtigen angestiegen.

Wesentlich für die Innere Sicherheit ist auch der Anstieg der politisch motivierten Kriminalität durch Extremisten – von Propagandadelikten bis zur Gewalt, um politische Ziele zu erreichen.

Angestiegen ist auch die Zahl der Übergriffe auf Politiker. Es ist eine besondere Gefahr für die Demokratie, wenn Kommunalpolitiker aus Angst vor Angriffen ihr Engagement aufgeben, wenn Parteiveranstaltungen abgesagt und Politiker vor einem gewaltbereiten Mob geschützt werden müssen

Zugenommen haben auch die antisemitischen Straftaten, insbesondere zwischen dem 7. Oktober und Dezember 2023 mit Bezug zum Nahost-Konflikt. Antisemitismus spielt nach wie vor im Rechtsextremismus eine bedeutende Rolle und ist bei sämtlichen islamistischen Bestrebungen fester Bestandteil ihrer Ideologie.

 

Die Zahl der Extremisten ist gestiegen: 2022 gab es bundesweit über 150.000, in Nordrhein-Westfalen waren es über 20.000.

Aus manchen Terroristen werden Extremisten, die ihre Ziele mit Gewalt erreichen wollen. Dabei beobachten die Sicherheitsbehörden heute eine Vielfalt von Tätertypen im Rechtsextremismus und Islamismus − häufig handeln sie nicht in festen Organisationen, sondern als allein handelnde Täter. Außerdem werden Extremisten immer gewaltorientierter und jünger.

Rechtsextremismus ist eine der größten Bedrohungenfür die Demokratie von innen heraus. Rechtspopulisten und Rechtsextremisten nutzen die aktuellen Krisen sowie die Diskussionen zur irregulären Migration, um Einfluss auf die Gesellschaft und das Protestgeschehen zu nehmen. Krisen können ein Nährboden für Extremismus sein, der durch Verschwörungsmythen und eine häufiger werdende Demokratie-Verdrossenheitwächst.

Dabei verschleiern Teile der Rechtsextremisten ihre Ideologie und die wahren Ziele. Ein anderer Teil der rechtsextremistischen Szene bekämpft die freiheitliche demokratische Grundordnung offen, auch unter Anwendung von Gewalt – und die Radikalisierung nimmt zu.

Ebenso gefährlich für unsere Demokratie sind die Einstellungen in Deutschland. Nach der Studie „Die distanzierte Mitte“ von September 2023 hat sich die Zahl der Menschen mit einem gefestigten rechtsextremistischen Weltbild seit 2014 verdreifacht.

 

Der Islamismus bleibt eine langfristige Herausforderung für die Sicherheitsbehörden und die Gesellschaft. Wir müssen auch heute noch in Deutschland jederzeit mit einem islamistischen Anschlag rechnen. Das zeigt auch die Festnahme von zwei Afghanen am 19. März 2024 in Gera, die mutmaßlich einen Anschlag auf das schwedische Parlament geplant haben, auf Anweisung eines Ablegers des IS.

Der Nahostkonflikt mit dem Terrorangriff der HAMAS auf Israel im Oktober 2023 besitzt jetzt ein weiteres starkes Emotionalisierungs- und Mobilisierungspotential und führte dazu, dass über den islamistischen Personenkreis hinaus antisemitische Aktionen und Übergriffe durchgeführt wurden.

 

Im Jahr 2014 entstanden mit HoGeSa („Hooligans gegen Salafismus“) und Pegida („patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) neue Protestwellen; mit der Flüchtlingswelle 2015 verstärkten sie ihre zum Teil gewaltorientierten Aktionen. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie kamen mit den sog. „Querdenkern“ und anderen Verschwörungs-Ideologen weitere Gruppen mit einem noch höheren Protest-Potential hinzu.

Hier entstehen Sammelbecken für die, die „gegen die da oben“ sind. Es sind Mischszenen aus Rechtsextremisten, Populisten, Reichsbürgern, Verschwörungs-Ideologen und Menschen, die glauben, von der Politik abgehängt und ungerecht behandelt zu werden. Kennzeichen dieser Szenen sind eine Abwertung und Verunglimpfung der demokratischen Institutionen, der freien Medien und der Wissenschaft. Der Verfassungsschutz hat diese Gruppen und Personen im Blick.

 

Angriffe auf die Demokratie von außen

 

Wir sehen derzeit einen zunehmenden Nationalismus in Europa. Populisten, Extremisten und Europafeinde gewinnen immer mehr Zuspruch. In Deutschland die AfD – mit fatalen Folgen für ein starkes Europa.

 

Auch die Spionage sowie Desinformationskampagnen und Destabilisierungsversuche ausländischer Geheimdienste als hybride Bedrohung haben – zuletzt noch einmal mit dem Ukraine-Krieg - zugenommen. Mit dieser Illegitimem Einflussnahme fremder Staaten soll die gesamtgesellschaftliche Stimmung in Deutschland beeinflusst werden, um das Vertrauen in staatliche Stellen zu untergraben und gesellschaftliche Konflikte zu vertiefen.

 

Wir müssen auch davon ausgehen, dass der Klimawandel zu Katastrophen führt, die Menschenleben gefährden und hohe wirtschaftliche Schäden verursachen. Die weiteren Folgen können neue Krankheitserreger und Pandemien sein mit der Folge von weiteren wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Auch das beeinflusst die Innere Sicherheit.

Kriege und Konflikte  

 

Zu dem im Februar 2022 von Russland begonnen Krieg in der Ukraine erklärte der Vorsitzende der Münchener Sicherheits-Konferenz, Christoph Heusgen im Februar 2023: „In diesem Ukraine-Krieg wird die Zukunft Europas und die künftige Weltordnung entscheiden.“

Auch der Terrorangriff der HAMAS auf Israel und die damit ausgelöste Intervention israelischer Streitkräfte im Gazastreifen haben Auswirkungen auf Europa und Deutschland. Zusätzlich zu diesen Kriegen sind insgesamt die Machtverhältnisse auf der Welt im Umbruch. Der Bundeskanzler erläuterte es als „Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinentes“. Wir befinden uns also nicht mehr in einem Friedens-, sondern in einem Konflikt-Modus zwischen autoritären und demokratischen Staaten.

Kriege produzieren Terroristen und Kriminelle. Jahrelange Gewalterfahrung steigert Hass, Rachegefühle und auch Traumata. Psychisch-labile Einzeltäter und fanatische Mitglieder von Terrorgruppen kommen häufig aus Konfliktregionen. So hat auch der Bürgerkrieg in Syrien die Anschlagsgefahr in Europa und Deutschland erhöht.

 

Und schließlich: Kriege und Bürgerkriege sind auch Fluchtursachen. Viele wollen nach Europa. Die Herausforderungen für Deutschland und Europa, die Einreise, Aufnahme und Integration von geflüchteten Menschen zu steuern und zu regeln, sind hoch – und immer sind sie auch eine Herausforderung für die innere Sicherheit.

 

Die Diskussionen über irreguläre Migration werden insbesondere von Rechtsextremisten ausgenutzt, um eine ausländerfeindliche Stimmung in der Gesellschaft zu verbreiten. Deswegen muss das Thema aus der Demokratie angesprochen und die Zuwanderung positiv besetzt werden: Es geht hier um Menschen, die Hilfe brauchen, und richtig gesteuert kann Deutschland von zusätzlichen Arbeitskräften profitieren.

 

Cyberangriffe und hybride Kriegsführung

 

Cyberangriffe werden eine zunehmende Gefahr für unsere Gesellschaft. Mit zunehmender Digitalisierung können diese Angriffe immer größere Schäden anrichten, insbesondere wenn sie sich gegen unser zentrales Nervensystem – die Kritische Infrastruktur (KRITIS) - richten. Das Bundeskriminalamt hat dazu in seinem Lagebild 2022 eine Zunahme der Cyber-Angriffe aus dem Ausland um acht Prozent und eine Vervierfachung der Schäden seit 2017 festgestellt.

 

Konflikte zwischen Staaten könnten in der Zukunft nicht nur mit einem klassischen militärischen Schlag, sondern hybrid mit Destabilisierung und Cyberangriffen insbesondere auf die Kritische Infrastruktur beginnen. Besonders destabilisierend wirken dabei die Verschleierung des Urhebers und die Unberechenbarkeit solcher Angriffe. Die Auswirkungen auf die Innere Sicherheit - neben den wirtschaftlichen Schäden - sind groß: So muss man davon ausgehen, dass nach kurzer Zeit auch innere Unruhen beginnen.

 

Künstliche Intelligenz - KI – eine weitere künftige Krise?

 

Haben wir mit der KI die „Büchse der Pandora“ geöffnet - kann also die KI den eigenen Schöpfer überlisten oder außer Kontrolle geraten? Für die Innere Sicherheit und damit für unsere Demokratie kann das gravierende Folgen haben.

 

Die KI bietet nicht nur für die Wirtschaft, auch für die innere Sicherheit Chancen – zum Beispiel können große Datenmengen für die Nachverfolgung von Infektionen, Erdbeobachtungsdaten bei der Katastrophenschutz-Vorsorge und auch im Rahmen der Strafverfolgung schneller analysiert werden.

Aber es gibt auch Risiken: zum Beispiel autonome Waffensysteme,bei denen der Mensch nicht mehr entscheidet. Unsere Freiheit kann eingeschränkt werden durch KI gesteuerte Überwachungsnetze. Durch KI erstellte und manipulierte Texte und Bilder, sog. Deepfakes - von Menschen nicht erkennbare Fälschungen, können Unruhe verbreiten und zu radikalen Aktionen führen.

 

Daher ist es folgerichtig, wenn jetzt das Europäische Parlament ein Gesetz über künstliche Intelligenz verabschiedet hat. Die neuen Regeln sollen Grundrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vor Hochrisiko-KI-Systemen schützen und gleichzeitig Innovationen ankurbeln. Verboten sind KI-Anwendungen, die die Rechte der Bürgerinnen und Bürger bedrohen. Ebenso zum Beispiel der Einsatz von KI, um das Verhalten von Menschen zu beeinflussen oder ihre Schwächen auszunutzen.

 

Voraussetzungen und Erfolgsaussichten eines AfD-Verbots

 

Die AfD versucht kontinuierlich, den politischen Diskurs immer weiter in eine völkisch-nationalistische Richtung zu verschieben und sie vernetzt sich mit anderen rechtsextremistischen Kräften.

Die AfD wird von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder unterschiedlich intensiv beobachtet:

Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet die AfD-Bundespartei als sog. Verdachtsfall und die Junge Alternative seit April 2023 auf der höchsten Stufe als gesichert rechtsextremistische Bestrebung.


Ist ein Parteiverbot der richtige Weg? Dazu gibt es eine verfassungsrechtliche und eine politische Sichtweise:

 

Verfassungsrechtliche Sichtweise: Die AfD wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz mit Stand heute noch nicht als erwiesen extremistisch bewertet - und auch nicht die Landesverbände von allen Landes-Verfassungsschutzbehörden. Es müsste vor Gericht festgestellt werden, dass die AfD in ihrer Gesamtheit „darauf aus“ ist, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, also den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden.

 

Antragsteller sind Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung - der Antrag vor dem Bundesverfassungsgericht muss also aus dem politischen Raum kommen. Dabei muss zum einen die Dauer von Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht berücksichtigt werden, auch vor dem Hintergrund der kommenden Landtagswahlen. Des Weiteren muss das Risiko eines Scheiterns bedacht werden; es würde der AfD Rückenwind geben.

Auf der anderen Seite: Eine „wehrhafte Demokratie“ heißt auch: wehret den Anfängen – man muss also möglichst frühzeitig verfassungsfeindlichen Bestrebungen entgegentreten.  

Die Verfassungsschutzbehörden prüfen laufend die Möglichkeiten von Verboten und sammeln und analysieren Erkenntnisse; die Entscheidung darüber trifft letztlich die Politik.

 

Der Blick in die Zukunft:

Wir müssen akzeptieren, dass wir uns mit den derzeitigen Krisen nicht in einer Ausnahmesituation befinden, sondern – global betrachtet – einer „Normalisierung“ nähern. In Krisen wächst der Extremismus – und es wird so lange Extremisten geben, wie es gesellschaftliche (Corona, Energieknappheit, Klima) oder persönliche (z.B. Desintegration) Krisen gibt. Künftige Krisen, eine veränderte Weltordnung oder Klima-Katastrophen könnten sogar noch stärkere Auswirkungen auf den Einzelnen und unsere Demokratie haben.

 

Dennoch sehe ich derzeit nicht, dass die Grundfesten unserer Demokratie wanken. Wir sind eine „wehrhafte Demokratie“ mit gut funktionierenden und gut kontrollierten Sicherheitsbehörden. Wir haben die Möglichkeit von Vereinsverboten und letztlich auch von Parteiverboten. Im Vorfeld solcher Verbote können Politik und Sicherheitsbehörden über verfassungsfeindliche Organisationen die Öffentlichkeit informieren und somit warnen – auch das ist ein Kennzeichen der wehrhaften Demokratie.

 

Insgesamt ist die Gesellschaft sensibler und aufmerksamer geworden. Das zeigen auch die Demonstrationen für die Demokratie und gegen Radikalisierung, Hass und Hetze seit Anfang dieses Jahres. Extremisten und andere Demokratiefeinde sind immer noch eine Minderheit.“




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